Die Lebenden und Toten von Winsford by Nesser Håkan

Die Lebenden und Toten von Winsford by Nesser Håkan

Autor:Nesser, Håkan [Nesser, Håkan]
Die sprache: deu
Format: epub
veröffentlicht: 2014-09-23T16:00:00+00:00


26

Wissen Sie eigentlich, warum die Kirche weiß gestrichen ist?«

Es ist früher Nachmittag am zweiten Dezember. Castor und ich befinden uns in der Gegend von Selworthy, einem hoch gelegenen Dorf zwischen Porlock und Minehead, fast schon am Meer. Wir haben uns einer alten Dame und ihrem bedeutend jüngeren Hund, einem energischen Labrador, angeschlossen. Das Auto haben wir an der Kirche geparkt, und nun sind wir auf dem Weg zu Selworthy Beacon hinauf, und es ist ein etwas kühler, aber klarer Tag, dort oben wird man viele Meilen weit sehen können.

»Nein«, antworte ich. »Das weiß ich nicht.«

Die alte Dame gluckst zufrieden. »Nun ja, ich nehme an, dass Sie Ausländerin sind, wenn Sie entschuldigen, dass ich das sage. Aber in unserem Vereinigten Königreich sind weißgestrichene Kirchen eher ungewöhnlich. Sie sollen grau sein, natürliche Steinfarbe, sowohl in den Städten als auch auf dem Land … nicht wie an anderen Orten der Welt, zum Beispiel in Griechenland.«

»Das ist mir auch schon aufgefallen«, erwidere ich. »Dass die Kirchen in der Regel grau sind, meine ich.«

»Stimmt genau«, sagt die Dame und bleibt kurz stehen, um ihr Wolltuch zurechtzurücken, das sie sich um den Kopf geschlungen hat. »Aber, wissen Sie, hier hatten wir einmal einen Pfarrer, der die Kirche weiß streichen ließ, wofür er gute Gründe hatte, zumindest fand er das selbst.«

Wir drehen uns um und stellen fest, dass wir das Kirchengebäude unter uns noch immer zwischen dem Laub der immergrünen Bäume ausmachen können. Dass es weißgetüncht ist, steht außer Zweifel.

»Wissen Sie, er war nämlich ganz verrückt danach, auf die Jagd zu gehen, das war vor zweihundert Jahren, und während er jagte, Rotwild oder Fasane oder was auch immer … da unten in Porlock Valley …«, sie zeigt mit ihrem Stock, »… man nennt es das glückliche Tal, das soll der Name übrigens auch bedeuten, und es ist das schönste Tal in ganz England … nun ja, während er also umherstrich und nach Wildbret suchte, stärkte er sich von Zeit zu Zeit aus einem Flachmann, um sich warm zu halten und nicht den Mut zu verlieren … und dann, wissen Sie, wenn es dämmerte und er wieder heimwollte, hatte er nicht den blassesten Schimmer, wo er sich eigentlich befand und in welche Richtung er sich wenden musste. Und deshalb ließ er die Kirche weiß streichen. Damit sie zu sehen war … und er auch noch voll wie eine Haubitze nach Hause finden würde. Und es funktioniert tatsächlich, man sieht sie, ganz egal, wo man sich in diesem Tal gerade befindet. Sie ist nicht zu übersehen.«

»Ist das wahr?«, frage ich dümmlich.

»Natürlich ist das wahr«, antwortet die Dame. »Oder glauben Sie etwa, ich denke mir solche Geschichten für eine Besucherin aus der Ferne aus?«

Kurz darauf trennen sich unsere Wege. Sie und ihr Mufti biegen auf den Weg nach Bossington ab, für eine Achtzigjährige ist die Strecke bis zur Kuppe zu steil, und außerdem gibt es dort oben nur einen Grabhügel und jede Menge Wind, erfahre ich.

Castor und ich streben dennoch weiter. Ich denke eine Weile an die letzten Worte der alten Dame – eine Besucherin aus der Ferne – und daran, wie gut sie zu mir passen.



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